Nach zwei Wochen Sprachkurs bin ich verliebt. Nicht in meine lebenslustige
Lehrerin, die in mehreren Jobs schuftet,
trotzdem nicht genug Geld verdient, um von zu Hause auszuziehen und mit uns in
ihrer knappen Freizeit Märkte und Ausstellungen besucht, damit wir auch
außerhalb des Unterrichtsraums unsere Sprachkenntnisse erproben.
Nein, meine Liebe gilt dem brasilianischen Portugiesisch. Es klingt so
wundervoll weich und melodisch, irgendwo zwischen Spanisch, Französisch und
Italienisch, aber ohne die Härte des Spanischen, die Hochnäsigkeit des
Französischen und den nervigen Singsang des Italienischen. (Die natürlich trotzdem
alle drei schöne Sprachen sind!)
Doch es ist nicht nur der Klang des Portugiesischen, der mich begeistert. Sondern
vor allem, wie sich die brasilianische Seele in der Sprache ausdrückt. So etwa
die Herzlichkeit der Leute in der liebkosenden Verkleinerung einfach aller Worte
und Dinge des Alltags.
So wird zum Beispiel aus Angst, grob zu klingen, nicht gefragt: „Kannst du
mir mit einer Sache (‚coisa‘) helfen?“ Denn ‚Coisa‘ klinge monströs,
brutal, riesig, findet meine Lehrerin. ‚Coisinha‘ hingegen leicht und
unkompliziert. Den Unterschied macht das angehängte "inha".
Diese Suffix, auf Deutsch etwa „-lein“ oder „-chen“, ist in Brasilien
allgegenwärtig. Die Eckkneipe wird ‚barzinho‘ genannt, sie ist ganz nah,
‚pertinho‘, weshalb man es nicht abschlagen kann, dort ein Bierchen zu trinken,
eine ‚cervejinha‘.
Brasilianer trinken keinen Kaffee, sondern ‚cafezinho‘. Während dieser
tiefschwarze, stark gesüßte Espresso tatsächlich in kleinen Mengen getrunken
wird, muss die Verkleinerungsform keineswegs mit der Größe in Verbindung stehen. Neulich erzählte mir eine brasilianische Bekannte, ihre Eltern würden jeden
Samstag im Garten grillen. Diese wöchentliche Grillparty mit Geschwistern,
Kindern und deren Partnern und Freunden bezeichnete sie nicht als ‚churrasco‘,
sondern als ‚churrascinho‘ - ein kleines Barbecue.
Berühmtestes Beispiel für die liebevolle Verkleinerung ist natürlich die ‚Caipirinha'.
Limetten müssen drin sein - gestritten wird darüber, ob die Caipirinha mit Cachaça oder mit Wodka besser schmeckt. |
Aber nicht immer ist die Verkleinerungsform positiv. Findet eine
Brasilianerin einen Mann ganz hübsch, aber nicht außergewöhnlich attraktiv, bezeichnet
sie ihn nicht als schön, ‚bonito‘, sondern nur als ‚bonitinho‘ – ganz hübsch.
Auch der große Bruder des ‚inho‘ ist mehrdeutig: Die Vergrößerungsform ‚ao‘
macht aus einer Frau eine Superfrau oder Traumfrau. Eine mit dieser Suffix
versehene Mutter hingegen ist über-behütend und in ihrer Mutterliebe
erdrückend.
Eine Bierwerbung spielt mit der brasilianischen Angewohnheit, die Dinge
verbal zu vergrößern oder zu verkleinern. Während die Brasilianer normalerweise
ein Bierchen trinken gehen, erklären die Werber das Bier zum Superbier: ‚Cervejao‘.
Neben diesen sprachlichen Details begeistert mich außerdem, dass das
Portugiesische wie für die Musik geschaffen ist. Ob Samba, Pagode, Popmusik
oder der harte, aus den Favelas stammende „Baile Funk“: Gesang und Rhythmus
passen einfach immer perfekt zusammen. Und die Texte der Lieder, die wir im
Sprachkurs hören, singen und diskutieren, erzählen viel über die brasilianische
Kultur.
So fordert Chico Buarque in dem Lied „Feijoada Completa“ seine Frau auf,
den typischen brasilianischen Eintopf mit Wasser zu verlängern, damit er für
die ganzen Freunde ausreicht, die er spontan eingeladen habe. (Neben Bohnen gehören in
eine Feijoada übrigens Schweineohren, Füße und Zunge. Diese Fleischreste
überließen die Herrschaften früher ihren Sklaven, die so leckeres Essen daraus
zauberten, dass das brasilianische Nationalgericht bis heute mit diesen
ungewöhnlichen Zutaten zubereitet wird.)
Und in „Apesar de Você“ aus der Zeit der Diktatur spricht der gleiche Sänger (der brasilianische Musiker schlechthin)
das Militärregime direkt an: „Dir zum Trotz wird morgen ein anderer Tag sein“.
Die Zensoren dachten, in dem Text ginge es um eine Frau. Als ihnen ihr Fehler
aufging und sie den Verkauf der CD verboten, war das Lied bereits zur
offiziellen Hymne der Regimegegner avanciert.
Nara Leão singt mit Chico
Buarque ein Lied über den Karneval. Sie: „Ich bin noch so jung“, er: „meine
besten Zeiten sind vorbei“, er: „ich schwimme in Geld“, sie: „ich bin
abgebrannt.“ Die beiden könnten also nicht weniger zueinander passen, doch im Duett singen sie: „Es ist
Karneval und heute bin ich so, wie du dir wünscht“. Während des Karnevals, so wird es mir immer
wieder erzählt, verschwinden die sozialen Unterschiede. „Da triffst du deinen
Professor oder Arzt als Frau verkleidet und niemand findet das komisch, sondern
ihr trinkt ein Bierchen zusammen“, erklärt mir Diego.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen