„Hallo mein Freund! Alles gut bei dir? Wie läuft´s?“
Der Mann, der Bier verkauft und Sonnenschirme vermietet, klopft meiner
Strandbegleitung João in Itacoatiara (was auf der indigenen Sprache Tupi „bemalter
Stein“ heißt) breit grinsend auf die
Schulter. Auf meine Frage, wie oft man hierherkommen müsse, um so von den
Strandverkäufern begrüßt zu werden, entgegnet er: „Wieso? Ich habe diesen Typen
noch nie gesehen.“
Strand von Itacoatiara |
Dann erklärt er mir, dass diese überschwängliche Freundlichkeit für die Brasilianer so wichtig ist wie der ‚cafezinho‘ am Morgen. „Brasilianer schlagen niemals eine Einladung aus!“, sagt er. Ein „nein“ gilt als verletzend und wird persönlich genommen. Statt „ich hatte einen langen Tag und gehe heute lieber früh schlafen“, muss es etwa heißen: „Oh meine Liebe, das klingt wundervoll! Ich werde es mir aber für das nächste Mal aufheben müssen, heute ist es mir leider unmöglich.“
Zuneigung und Herzlichkeit werden hier im Alltag
zelebriert: Brasilianische Freunde und Freundinnen umarmen und küssen sich
ständig, zur Begrüßung gerne auch mal auf die Stirn statt auf die Wange.
Praktisch für reservierte Ausländer wie mich, denen das manchmal etwas zu viel
wird: Körperliche Zuneigung kann auch verbal ausgedrückt werden, indem man dem
Gegenüber ganz einfach „beijo!“ (Kuss) oder „abraço!“ (Umarmung) zuruft.
Auch Unbekannten gegenüber wird Liebenswürdigkeit an den Tag
gelegt, nicht nur von Strandverkäufern. Wenn ich zum Beispiel, schon fast aus
der Tür raus, der Kassiererin beim Bäcker noch ein „danke“ zumurmele, erwidert
sie das mit einem aufrichtig-herzlichen „aber gerne doch, meine Liebe“, sodass
ich mich ganz schlecht fühle.
Ein anderes wunderbares Beispiel ist das Busfahren. Wenn ich
einen Platz im Bus finde, stürze ich mich erleichtert darauf und schaue
konzentriert aus dem Fenster, damit mir nicht übel wird. (Der Fahrstil von Rios
Busfahrern ist unbeschreiblich – das kleine Schild „Der Bus sollte nützen, nicht töten“, das an manchen
Haltestellen hängt, macht ihn vielleicht in Ansätzen vorstellbar.) Finde ich
keinen Platz, kralle ich mich an einer Stange fest und fluche innerlich vor
mich hin.
kreativer Protest gegen rasende Busfahrer |
Dann spricht mich gelegentlich jemand an und schlägt mir vor, meine Tasche auf den Schoß zu nehmen. Die ersten Male habe ich noch leicht irritiert abgelehnt. Doch tatsächlich hält sich das Gleichgewicht ohne große Tasche deutlich besser. Und oft entwickelt sich auch noch ein nettes kleines Gespräch mit der Person, welche die Tasche hütet.
In dessen Zuge wird dann auf den Verkehr geschimpft oder von
der Familie erzählt. Manchmal wird mir auch erklärt, ich wirke gar nicht
Deutsch, sondern stattdessen ganz freundlich. Da heißt es dann lächeln, nicken
und schweigen. So oder so sind diese Gespräche aber immer unterhaltsam. Beendet
werden sie beim Aussteigen oft mit einem „chaozinho amiga“ (Tschüssi,
Freundin). In Brasilien findet man leicht Freunde.
Neulich zum Beispiel trafen Ana, Maria und ich in einer der
Kneipen am Campus João, der zwei Freundinnen im Schlepptau hatte.
Nach einer fünfminütigen Unterhaltung hatten die beiden Mädels uns in das
Wochenendhaus ihrer Eltern eingeladen. Nach zehn Minuten hatten wir Nummern und
Facebook-Kontakte ausgetauscht. Als wir weiterzogen, verabschiedeten die Mädels
sich mit einem „até mais amigas!“ (bis bald Freundinnen!).
Ich habe das Gefühl, in Brasilien gibt es nur potenzielle
Freunde und Freunde. Potenzielle Freunde sind diejenigen, die man noch nicht
kennt. Alle anderen sind Freunde – ich habe noch nie einen Brasilianer den
Ausdruck „ein Bekannter von mir“ verwenden hören.
Brasilianer laden Freunde (und Menschen, die ich als
Bekannte bezeichnen würde) gerne übers Wochenende zu ihrer Familie ein. So habe
ich mit Rena und Daniel, zwei anderen deutschen Austauschstudenten, ein
verlängertes Wochenende bei der Familie von Hélvio in Araruama verbracht, ein Strandort
etwa 100 Kilometer östlich von Niterói. Hélvio ist der Freund von Renas
Freundin Stephanie. Stephanie kannte ich vor diesem Ausflug, ihren Freund
nicht.
Seine Familie nahm uns dennoch auf wie verloren geglaubte
Kinder. Als ich am zweiten Tag mit Rena in der Küche stand, kam
Hélvios Großmutter dazu, stellte sich neben mich, legte mir den Arm um die
Hüfte und begann zu plaudern. Meine Irritation wich schnell einem tiefen
Wohlgefühl. Wie schön, 10 000 Kilometer entfernt von zu Hause unerwartet von
einer Ersatz-Oma umarmt zu werden!
Rührend war auch der Abschied, bei dem mich Hélvios
Stiefvater fragte, ob er mir auf die
brasilianische Art auf Wiedersehen sagen könnte. Als ich bejahte, umarmte er
mich, küsste mich auf beide Wangen und erklärte: „Das ist einfach schöner so!
Wir Brasilianer schätzen eine feste Umarmung unter Freunden.“
Hélvios Stiefvater bereitet ein brasilianisches Churrasco vor |
Natürlich stehen auch Salome und ihre Familie ihren
Landsleuten in diesem Punkt in nichts nach. Als wir am Muttertag alle gemeinsam
zu Mittag aßen, dankte sie in einem Tischgebet mit Tränen in den Augen und
belegter Stimme Gott für ihre Kinder - und für die, welche sie bei sich
aufgenommen hätte. Das galt meinen Mitbewohnern Pablo, Fabio und mir. Während
ich noch verlegen zu Boden schaute, bedankte sich Pablo bereits mit vor Rührung
zittriger Stimme – und den obligatorischen Küssen und Umarmungen.
Die brasilianische Freundlichkeit kommt im entsprechenden
Moment meistens von Herzen. So gefiel den Mädels in der Bar die Idee, ein paar
Austauschstudentinnen mit zu ihren Familien zu nehmen, bestimmt wirklich. Die jeweilige
Situation überdauert die spontan empfundene Freundschaft aber oft nicht. Die
beiden Mädchen etwa haben wir nie wieder gesehen.
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