3. Monat
„Boa praia para voce!“, ruft Nelson, der Mann meiner
Vermieterin Salome mir hinterher, als ich mich auf den Weg zum Meer mache. Das
bedeutet „guten Strand für dich!“ Es ist ein feststehender Ausdruck, wie
„schönen Tag dir“ oder „viel Spaß“ – und sagt, wie ich finde, viel darüber aus,
wie viel der Strand den Brasilianer bedeutet.
Eine weitere solche Formulierung ist die Frage „vai dar
praia no fim de semana?“ („Wird es am Wochenende Strand geben?“), die
gleichbedeutend ist mit „wird das Wetter am Wochenende gut?“
Es gibt viele Gründe für die Brasilianer, ihre Strände zu
lieben. Der wahrscheinlich wichtigste ist: Der Strand ist für alle da. Hier
treffen sich Jugendliche aus den Favelas, Familien mit Kindern und Superreiche.
Soziale Unterschiede verschwinden, am Strand ist also quasi jeden Tag Karneval.
Der Strand ist den Brasilianern zweite Heimat, Ort um zu sehen und gesehen zu
werden, sich zu bräunen und zu flirten. Er kostet nichts.
Der Stolz auf die landeseigenen Strände ist riesig – aller
Wut auf die Politik und Lebensverhältnisse zum Trotz wehen hier brasilianische
Flaggen. Strände sind prinzipiell „linda“ und „bonita“ – dass viele vermüllt
sind und das Wasser so unrein, dass die Menschen nicht schwimmen gehen können,
wird nicht erwähnt.
Als Ausländer sollte man am Strand einige Regeln befolgen,
um nicht negativ aufzufallen. Dazu gehört: Niemand zieht sich am Strand um. Die
Badesachen trägt man unter den Anziehsachen und behält sie nach dem Baden an,
am Ende des Strandtags werden die Klamotten wieder übergezogen. Alles andere
gilt als anstößig und ist teilweise sogar verboten. Zwei Deutsche, die sich am
Flughafen „noch schnell eine lange Hose anziehen“ wollten, wurden verhaftet.
Das nationale Fernsehen strahlte die Bilder der halbnackten Touristen aus.
Auch „oben ohne“ zu baden steht in Brasilien unter Strafe.
Völlig normal ist hingegen der „fio dental“ – ein Stringtanga, so dünn wie
Zahnseide. In dem spazieren die Brasilianerinnen den Strand auf und ab und
genießen die offensichtlichen Blicke der Männer. Oder sie sonnen sich auf
Liegen oder cangas, großen bunten
Tüchern (an den Handtüchern erkennt man die Gringos)
– nicht aufs Meer schauend, sondern nach der Sonne ausgerichtet.
Die Männer trinken Bier, „estupidamente gelada“ (lächerlich
kalt) muss es sein, um die drei Grad kühl, sonst gilt es den Brasilianern als
„queinte“, heiß, und wird nicht angerührt. Alternativ spielen sie Volleyball
und präsentieren dabei ihre tätowierten, muskulösen Oberkörper.
lächerlich gekühltes Bier am Strand von Itacoatiara |
So kann problemlos der ganze
Tag verbracht werden, denn am Strand gibt es alles, was man braucht. Einige
Strandverkäufer bieten Getränke, Essen und Eis feil, andere Schmuck, cangas und Bikinis (die
verblüffenderweise immer Abnehmerinnen finden, obwohl sie natürlich nicht anprobiert werden am Strand).
Während mich die lärmenden Händler eher beim Lesen stören (auch am Buch erkennt man übrigens die Ausländer), scheinen sie für die Brasilianer zum Stranderlebnis dazuzugehören.
Während mich die lärmenden Händler eher beim Lesen stören (auch am Buch erkennt man übrigens die Ausländer), scheinen sie für die Brasilianer zum Stranderlebnis dazuzugehören.
Das bemerke ich in
Ipanema mit Claudia, die ich auf einem churrasco
bei meiner Vermieter-Familie kennengelernt habe. Sie verwickelt alle Verkäufer
in Gespräche, albert herum und wickelt sich eine canga als Turban um, um sich so dekoriert mit dem Händler zu
fotografieren.
Mit zwei Argentiniern,
die ihren selbstgebastelten Schmuck anpreisen, verbringen wir auf diese Weise etwa
eine halbe Stunde. Ich kenne bereits ihre Reiseroute, ihren Wohnort in Rio und
ihr nächstes Ziel auf dem Lateinamerikatrip, als Claudia ihnen doch noch ein
paar Ohrringe abkauft.
Ich bin fasziniert,
reduziere ich Unterhaltungen mit Verkäufern doch immer auf das Wesentliche und
fühle mich schlecht, nichts zu kaufen, wenn mich jemand in ein Gespräch verwickelt.
Der Tuchhändler aber
scheint überhaupt nicht böse zu sein, als er weiterzieht, und auch die Jungs
wirken erfreuter über das Interesse, das die hübsche Claudia ihnen
entgegenbringt, als über die verkauften Ohrringe. Auch wenn ich im Umgang
mit den Händlern also noch einiges zu lernen habe: Immerhin bräune ich mich auf
einer canga und nicht auf einem
Handtuch.
Das Sonnenbaden habe ich
auch dringend nötig, bin ich doch noch
etwa so weiß wie an meinem ersten Tag hier. Da kann ich nur hoffen, dass es Strand geben wird an den kommenden
Wochenenden…
Kiosk an der Copacanaba |
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