Freitag, 19. Juli 2013

Kleiner Strandführer



3. Monat

„Boa praia para voce!“, ruft Nelson, der Mann meiner Vermieterin Salome mir hinterher, als ich mich auf den Weg zum Meer mache. Das bedeutet „guten Strand für dich!“ Es ist ein feststehender Ausdruck, wie „schönen Tag dir“ oder „viel Spaß“ – und sagt, wie ich finde, viel darüber aus, wie viel der Strand den Brasilianer bedeutet.

Eine weitere solche Formulierung ist die Frage „vai dar praia no fim de semana?“ („Wird es am Wochenende Strand geben?“), die gleichbedeutend ist mit „wird das Wetter am Wochenende gut?“

Es gibt viele Gründe für die Brasilianer, ihre Strände zu lieben. Der wahrscheinlich wichtigste ist: Der Strand ist für alle da. Hier treffen sich Jugendliche aus den Favelas, Familien mit Kindern und Superreiche. Soziale Unterschiede verschwinden, am Strand ist also quasi jeden Tag Karneval. Der Strand ist den Brasilianern zweite Heimat, Ort um zu sehen und gesehen zu werden, sich zu bräunen und zu flirten. Er kostet nichts. 

Der Stolz auf die landeseigenen Strände ist riesig – aller Wut auf die Politik und Lebensverhältnisse zum Trotz wehen hier brasilianische Flaggen. Strände sind prinzipiell „linda“ und „bonita“ – dass viele vermüllt sind und das Wasser so unrein, dass die Menschen nicht schwimmen gehen können, wird nicht erwähnt. 

Als Ausländer sollte man am Strand einige Regeln befolgen, um nicht negativ aufzufallen. Dazu gehört: Niemand zieht sich am Strand um. Die Badesachen trägt man unter den Anziehsachen und behält sie nach dem Baden an, am Ende des Strandtags werden die Klamotten wieder übergezogen. Alles andere gilt als anstößig und ist teilweise sogar verboten. Zwei Deutsche, die sich am Flughafen „noch schnell eine lange Hose anziehen“ wollten, wurden verhaftet. Das nationale Fernsehen strahlte die Bilder der halbnackten Touristen aus. 

Auch „oben ohne“ zu baden steht in Brasilien unter Strafe. Völlig normal ist hingegen der „fio dental“ – ein Stringtanga, so dünn wie Zahnseide. In dem spazieren die Brasilianerinnen den Strand auf und ab und genießen die offensichtlichen Blicke der Männer. Oder sie sonnen sich auf Liegen oder cangas, großen bunten Tüchern (an den Handtüchern erkennt man die Gringos) – nicht aufs Meer schauend, sondern nach der Sonne ausgerichtet.

Die Männer trinken Bier, „estupidamente gelada“ (lächerlich kalt) muss es sein, um die drei Grad kühl, sonst gilt es den Brasilianern als „queinte“, heiß, und wird nicht angerührt. Alternativ spielen sie Volleyball und präsentieren dabei ihre tätowierten, muskulösen Oberkörper.

lächerlich gekühltes Bier am Strand von Itacoatiara

So kann problemlos der ganze Tag verbracht werden, denn am Strand gibt es alles, was man braucht. Einige Strandverkäufer bieten Getränke, Essen und Eis feil, andere Schmuck, cangas und Bikinis (die verblüffenderweise immer Abnehmerinnen finden, obwohl sie natürlich nicht anprobiert werden am Strand).

Während mich die lärmenden Händler eher beim Lesen stören (auch am Buch erkennt man übrigens die Ausländer), scheinen sie für die Brasilianer zum Stranderlebnis dazuzugehören.

Strandverkäufer mit Bikinis
Das bemerke ich in Ipanema mit Claudia, die ich auf einem churrasco bei meiner Vermieter-Familie kennengelernt habe. Sie verwickelt alle Verkäufer in Gespräche, albert herum und wickelt sich eine canga als Turban um, um sich so dekoriert mit dem Händler zu fotografieren. 

Mit zwei Argentiniern, die ihren selbstgebastelten Schmuck anpreisen, verbringen wir auf diese Weise etwa eine halbe Stunde. Ich kenne bereits ihre Reiseroute, ihren Wohnort in Rio und ihr nächstes Ziel auf dem Lateinamerikatrip, als Claudia ihnen doch noch ein paar Ohrringe abkauft. 

Ich bin fasziniert, reduziere ich Unterhaltungen mit Verkäufern doch immer auf das Wesentliche und fühle mich schlecht, nichts zu kaufen, wenn mich jemand in ein Gespräch verwickelt. 

Der Tuchhändler aber scheint überhaupt nicht böse zu sein, als er weiterzieht, und auch die Jungs wirken erfreuter über das Interesse, das die hübsche Claudia ihnen entgegenbringt, als über die verkauften Ohrringe. Auch wenn ich im Umgang mit den Händlern also noch einiges zu lernen habe: Immerhin bräune ich mich auf einer canga und nicht auf einem Handtuch. 

Das Sonnenbaden habe ich auch  dringend nötig, bin ich doch noch etwa so weiß wie an meinem ersten Tag hier. Da kann ich nur hoffen, dass es Strand geben wird an den kommenden Wochenenden…

Kiosk an der Copacanaba

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