Dienstag, 13. August 2013

Letzte Male



6. Monat

Als die Sonne hinter Zuckerhut, Christus, Dois Irmãos und der Pedra da Gavea verschwindet, werden meine Augen ein bisschen feucht. Ich habe den Tag mit Freunden am Strand von Itaipu in Niterói verbracht, von wo aus man einen traumhaften Blick auf Rios schönste Bergformationen hat. In wenigen Tagen verlasse ich Brasilien.

Vieles, was ich unternommen habe in den vergangenen Tagen, habe ich zum letzten Mal getan. Manches auch gleichzeitig zum ersten Mal, denn ein knappes halbes Jahr reicht nicht aus, um alles zu erleben, was Niterói und Rio zu bieten haben.


Rios Felsformationen
Ich habe Caipirinhas am Strand von Charitas in Niterói getrunken mit Pierre und mit Rena, die an diesem Tag Geburtstag hatte. Danach ging es zum Sonnenuntergang herauf zum Parque da Cidade, von wo aus man einen der schönsten Ausblicke auf Rio hat. Der Spruch, dass das Schönste an Niterói der Blick auf Rio ist, trifft schon irgendwie zu. Gleichzeitig ist der Blick von oben, sei es vom Zuckerhut, dem Corcovado, auf dem der Christus thront, oder einer der Favelas, aber auch das Beste an Rio selbst: Von oben betrachtet ist die Stadt einfach die Schönste der Welt.


Vom Stadtpark  fuhren wir zur Cantareira, ein Platz vor dem größten Campus der Uni, der als das Lapa Niteróis gilt. Dort spielte eine Bläserband Songs von Abba, Nirvana und Amy Winehouse, das Publikum grölte die Texte, tanzte und blies Seifenblasen in die Luft.

Konzert auf der Cantareira
Am nächsten Tag standen ein letztes Mal Caipirinhas und brasilianische Musik bei einer befreundeten Jungs-WG in Rio auf dem Programm, danach tanzen in einem kleinen Club mit Balkonen hinaus ins nächtliche Lapa. Am nächsten Tag wieder Lapa, mit Rena und Luis aus Bolivien, bei völlig anderem Ambiente: Ein riesiger Markt in der prächtigen, denkmalgeschützten Rua do Lavradio – stöbern, Andenken kaufen und Maiskolben knabbern.

Bläserkonzert auf dem Markt in Lapa


Capoeira auf dem Markt in Lapa











Auf dem Markt spielte eine Band Capoeira, eine andere Blasmusik, wir ließen uns treiben, liefen zum Strand von Flamengo und betrachteten die Skyline von Niterói. Auf dem Weg Richtung Santa Teresa stießen wir auf einen Samba auf der Straße, tanzten dort ein bisschen, bevor wir in einem romantischen Buch-Café in Santa Teresa Ana und Maria trafen und mit Blick auf Rios Geschäftszentrum ein Forró-Konzert genossen. Maria schob sich durch die Menge, um Getränke zu kaufen, ich bat sie, mir ein Bier mitzubringen. Sie kam mit einer Caipirinha und einem verschmitzten Lächeln zurück: „An deinen letzten Tagen in Rio kannst du doch kein Bier trinken!“ Ein letztes Mal schlief ich bei Ana und ihr auf dem Sofa.

Samba-Konzert
Forró inSanta Teresa
Nach dem Strandtag in Itaipu fahre ich zu Salome nach Fonseca, um mich zu verabschieden. „Du hast eine bewegte Zeit erwischt in Brasilien“, sagt sie zu mir. „Die Copa das Confederações, die Proteste, der Drogenkrieg in Niterói, die Befriedungen in Rio, der Papstbesuch…“ Ich muss ihr versprechen, zurückzukehren. „Wir sind hier wie der Cristo Redentor - mit offenen Armen!“ , versichert sie mir.



Pablo fragt mich, was mir am besten gefallen habe in Brasilien. „Die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen“, antworte ich. „Und Portugiesisch zu sprechen im Alltag. Die Schönheit der Natur um Rio herum, kombiniert mit dem Leben in einer Großstadt. Und dass man einen Tag damit verbringen kann, immer dorthin zu gehen, wo gerade Musik gespielt wird auf der Straße.“ Wir erinnern uns an den Tag, an dem er mich vom Flughafen abgeholt hat und meine Versuche, Portugiesisch zu sprechen, für Spanisch gehalten hat. „Als wäre es gestern gewesen“, sagt er und, um mich zu ärgern: „Dein Spanisch ist noch viel besser geworden seit diesem Tag!“


Zu meinem Abschied lade ich meine ausländischen und brasilianischen Freunde ein letztes Mal auf die Cantareira ein. Diesmal unterhält uns eine Roda de Samba, eine der ursprünglichsten Varianten des Samba mit afrikanischen Trommeln. Eine Gruppe von Studenten gibt ihre Künste zum Besten, wer einen Text kennt oder ein Instrument beherrscht, mischt sich unter die Musiker, sodass Publikum und Band miteinander verschmelzen.

Das ist so stimmungsvoll, dass mein Ärger über die Absagen der Mehrheit meiner brasilianischen Bekannten verfliegt (diese erreichen mich in verschiedenen Varianten von „Leonie, heute ist es mir leider unmöglich, es war großartig, dich kennengelernt zu haben, beijos e saudade!“).


Roda de Samba auf der Cantareira
Am Tag meines Abflugs frühstücke ich ein letztes Mal mit Daniel auf seiner Terrasse. „In 30 Stunden bin ich zurück in meinem alten Leben, eine verrückte Vorstellung", sage ich zu ihm. „Auf dem Hinweg war der Weg doch aber genauso kurz“, entgegnet er. „Ja, aber da wusste ich noch nicht, was mich hier erwartet. Jetzt habe ich mir hier ein Leben aufgebaut, das ich zurücklasse und wechsle quasi von einem Alltag in den anderen.“ Jetzt muss Daniel doch zugeben: „Stimmt, das ist eine komische Vorstellung.“

Während des Frühstücks erreichen mich Nachrichten von Menschen, die mir eine gute Reise wünschen. Auch von João, einer der wenigen Brasilianer, der zu meinem Abschied gekommen ist. Er lädt mich in seine Heimat nach Bahia ein und verabschiedet sich mit einem „beijos de saudade“, „sehnsüchtige Küsse“ - was in Deutschland an sexuelle Belästigung grenzt, ist in Brasilien einfach nur nett gemeint. Daniel und ich müssen grinsen. Abends hilft er mir, meine Koffer zum Bus zu schleppen. „Mach´s gut, wir sehen uns in Deutschland“, verabschieden wir uns. Um dann, als die Türen des Busses sich schließen, noch etwas brasilianischer zu werden: „beijos de saudade!“, rufen wir uns lachend zu.

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